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„Menschen wie Hans Litten“ - Ein Besuch bei Pfarrer Gottfried Martens

Menschen in Not helfen: In Deutschland ist das zu einer neuen Gewissensfrage geworden. Eng damit verbunden ist die Aufnahme von mehreren Hunderttausend Flüchtlingen im vergangen Jahr. Wie verhält man sich dazu? Was denkt man darüber? Unser Interviewpartner setzt sich für Schutzbedürftige ein. Das tut er mitunter gegen alle Widrigkeiten, die dadurch entstehen. In unserem Projekt: „Menschen wie Hans Litten“ stellen wir Pfarrer Gottfried Martens vor, von der Evangelisch-Lutherischen Dreieinigkeits-Gemeinde Berlin-Steglitz.




Wann gilt ein Mensch für Sie als schutzbedürftig?


Dann, wenn wir selber merken, dass er in irgendeiner Art und Weise an Leib und Leben oder auch schon allein in seiner psychischen Gesundheit bedroht ist. Wir schauen dann, welchen Schutz er benötigt und welchen wir ihm gewähren können.

 

Seit 2011 wächst Ihre Gemeinde vor allem durch Zuwanderer aus anderen Ländern. Mehrheitlich stammen sie aus Iran, Afghanistan und zum Beispiel Eritrea. Diese Menschen sind wegen ihrer Ethnie, ihres Glaubens oder ihrer politischen Einstellung verfolgt und mit dem Tod bedroht worden. Wie weit verpflichtet Sie allein Ihr christlicher Glaube, Menschen in Not zu helfen?


Das ist natürlich der wesentliche Antrieb, weshalb wir diese Arbeit machen. Das Leben eines jeden Menschen ist ein Geschenk Gottes. Von daher ist es unendlich wertvoll. Darum ist unser Auftrag, das Leben eines jeden Menschen zu schützen, ganz gleich wo er herkommt oder welcher Religion er angehört.

 

Das heißt, Sie unterstützen als Pfarrer einer christlichen Gemeinde Menschen unabhängig von ihrem Glauben?


Es hat sich erst einmal so entwickelt, dass die Menschen, die zu uns kamen, im Wesentlichen Menschen waren, die um ihres christlichen Glauben Willens aus ihrer Heimat geflohen waren. Es ist natürlich klar, dass man sich zuerst einmal um die Menschen kümmert, die einem sozusagen direkt vor die Füße gelegt werden, die also erst einmal da sind. Das ist dass Allererste, was wir tun. Das begrenzt sich aber nicht darauf. Wir haben zum Beispiel gerade auch einen jesidischen Flüchtling bei uns im Kirchenasyl. Wir helfen also Menschen, wenn sie in Not sind. Wobei wir gleichzeitig auch sagen müssen: Wir können nicht die Welt retten! Das heißt, wir können nicht jeden unbegrenzt aufnehmen. Es kommen natürlich sehr viele Menschen, wo wir dann auch an unsere Grenzen stoßen. Trotzdem versuchen wir für alle Menschen irgendwelche Lösungen zu finden. Unabhängig woher sie kommen und in dem Rahmen der begrenzten Möglichkeiten, die wir haben.

 

Thema Kirchenasyl: In welchem Fall erhält man es bei Ihnen?


Grundsätzlich gewähren wir dann Kirchenasyl, wenn wir zu der Überzeugung gekommen sind, dass diesem Menschen Gefahr an Leib und Leben drohen würde, wenn er Deutschland verlassen müsste. Wie gesagt, wir können nicht allen Menschen das Kirchenasyl gewähren. Dafür haben wir schlicht und einfach nicht die räumlichen Möglichkeiten. Aber grundsätzlich lautet das Kriterium: Gefährdung an Leib und Leben!

 

In einer Zeit, in der vor allem populistische Meinungen europaweit verfangen: Wie nahe sind Sie bei Forderungen, zum Beispiel der CSU, die nur den dauerhaften Zuzug von Einwanderern aus dem christlichen Kulturkreis fordert?


Die müssten mir erst einmal überhaupt sagen, was sie unter christlichem Kulturkreis verstehen. Ich halte es auf der einen Seite für problematisch, wenn man auf diese Art und Weise selektiert. Umgekehrt steckt in all dem ein Körnchen Wahrheit, auch wenn ich dafür sonst nur wenige Sympathien habe. Wir müssen darauf achten, gerade auch Minderheiten in besonderer Weise zu berücksichtigen, wenn es um die Lösung von Asylfragen geht. Ich erwähnte zum Beispiel die Jesiden. Es geht nicht allein nur um Christen. Das gerade die Minderheiten sehr viel weniger Möglichkeiten haben zu fliehen, als diejenigen, die schlicht und einfach auf andere Weise miteinander vernetzt sind, das sollte man zumindest auch wahrnehmen. Das beschränkt sich aber nicht allein auf die Christen, sondern auf Minderheiten insgesamt. Das ist schon etwas, wo wir fragen: Was ist mit denen, die keine Lobby haben?

 

Sie sind Pfarrer und Seelsorger. Mit welchen ganz alltäglichen Nöten

kommen die Menschen Ihrer Gemeinde zu Ihnen?


Natürlich ist der Aufenthalt immer wieder die ganz zentrale Frage, um die es geht. Dürfen wir hier bleiben? Werden wir abgeschoben? Das bewegt sie in besonderer Weise. Außerdem haben viele von Ihnen schon traumatisierende Erfahrungen gemacht, sowohl in ihrer Heimat als auch auf dem Fluchtweg. Dazu kommen die Vielfältigen Sorgen um die Familien in der Heimat.

 

Wie helfen Sie dann?


Erst einmal höre ich einfach nur zu. Zum Beispiel, wenn sie mir von ihren Erlebnissen berichten. Das ist natürlich etwas, wo sie dankbar sind, wenn sich jemand für ihre Nöte interessiert. Bei den ganzen Asylfragen versuchen wir natürlich auch zu beraten und eine Hilfestellung zu geben. Mittlerweile habe ich mich in das deutsche Asylrecht einigermaßen eingearbeitet. So kann ich im Zweifelsfall auch schon den einen oder anderen Hinweis geben.

 

Finden die geflüchteten Menschen hier in Deutschland das, was sie suchen und für sich brauchen, um zum Beispiel eine neue Heimat zu haben?


Was wir erleben, das bezieht sich speziell auf unsere Gemeinde. Sie suchen zuerst eine geistliche Heimat und finden sie bei uns auch in der Kirche. Natürlich ist es für sie sehr schmerzlich, ihre Heimat zu verlassen. Niemand flüchtet einfach nur aus Spaß. Es ist immer ein schmerzlicher Schritt, zurückzulassen, was einem wichtig und vertraut war. Wir erleben aber immer wieder, dass die Gemeinde das neue zu Hause für sie wird, wo sie ihre neue Heimat finden.

 

Nach dem Zuzug mehrerer Hunderttausend Menschen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea steht jetzt die ihre Integration im Vordergrund. Die Bundesregierung will dabei vor allem die Fehler der Vergangenheit vermeiden, als man es in den 70er und 80er Jahren versäumt hat, die vielen türkischen Gastarbeiter und libanesischen Kriegsflüchtlinge als ein Teil dieser Gesellschaft aufzunehmen und Ihnen Integrationsangebote zu machen. In Ihrer Gemeinde entsteht die Gemeinsamkeit vor allem durch die Gottesdienste. Wie weit ist Ihre Arbeit auch Integrationsarbeit?


Natürlich sind die Gottesdienste ein wesentlicher Teil unserer Arbeit. Beim Zusammenleben in der Gemeinde entstehen menschliche Kontakte. Unsere Gemeinde besteht mittlerweile aus etwa 1.300 Flüchtlingen und ein paar Einheimischen. Dabei ist eine Integrationsarbeit nicht vollständig möglich. Das Gegenteil wäre eine Gemeinde mit tausend einheimischen Gemeindegliedern und 10 Flüchtlingen. Unter diesem Aspekt hat man mehr Möglichkeiten. Die Leute, die zu uns kommen, wollen allerdings in Deutschland zu Hause sein. Daher gibt es kein großes Problem mit der Integration. Sie sind daran interessiert, schnell die Sprache zu lernen. Sie sind oftmals sowieso schon sehr westlich orientiert. Deshalb kann ich sagen: Die Integration ist gar nicht so schwierig oder so ein riesiges Problem. Ob Deutschland aber wirklich die Fehler der Vergangenheit vermeidet, das ist für mich immer noch die Frage. Gewiss hat man schon manches dazugelernt. Dass man zum Beispiel Afghanen die Integrationskurse verweigert, bevor sie anerkannt sind, das halte ich für einen ganz großen Fehler. Wir lassen diejenigen jahrelang auf eine Weiterbildung warten, die keine gute Schulbildung in ihrer Heimat hatten. Das ist eine große Dummheit. Aber daran merkt man, dass alles politisch gesteuert ist. Man will nicht den Eindruck erwecken, als ob Afghanen hier willkommen wären. Das wird uns auf die Dauer wieder auf die Füße fallen, davon bin ich überzeugt.

 

Sie nehmen Mitglieder in Ihrer Gemeinde auf durch eine Taufe. Welche Pflichten und Aufgaben übernehmen sie dadurch im Gemeindeleben?


Sie tragen das Gemeindeleben ganz entscheidend mit. Die Mehrheit unseres Kirchenvorstandes sind Iraner und Afghanen. Alles was hier in der Gemeinde läuft, passiert ganz wesentlich dadurch, dass sie Verantwortung übernehmen. Das schließt Essen kochen ein, sauber machen und andere praktische Tätigkeiten. Da machen wir auch keinen Unterschied zwischen Einheimischen und Nicht-Einheimischen. Das ist ihre Gemeinde.

 


Sehen Sie sich als jemanden, der aktiv zur Integration beitragen muss oder als jemanden, der nur auf die Probleme hinweisen kann und sollte?


Wir versuchen die Möglichkeiten zu nutzen, die wir haben. Natürlich versuchen wir den Menschen zu helfen, damit sie in die Gesellschaft hineinwachsen. Durch Dinge, die ich selber gar nicht beeinflusst habe, habe ich die Möglichkeit gehabt, in der Öffentlichkeit auf Probleme aufmerksam zu machen. Das versuche ich natürlich zu nutzen, so gut ich kann, zugunsten dieser Menschen. Sie haben oftmals ansonsten keine Stimme.


Das Interview führte Hendrik Polland.


Interview mit Pfarrer Gottfried Martens - Hendrik Polland
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